Verstösse gegen jegliche Rechtskonventionen, Rücksichtslosigkeit, praktizierte Rechtsungleichheit im Staatsinnern, Missachtung der Grenzen von Nachbarstaaten, Ablehnung und Nichteinhaltung jeglicher UNO-Resolutionen, Vertreibung der PalästinenserInnen, radikale Zerstörung ihrer Infrastruktur, Tötung – dies ist die bald 100-jährige DNA dieses Staates.
Unter dem Schutzschild der USA betreibt dieser Staat seinen Imperialismus im ‚Nahen Osten‘. Und Europa – inklusive die CH-Bundespolitik – schaut weg, will nichts wissen von den Ungeheuerlichkeiten der israelischen Politik. Ein Volk, das mit der Shoa, dem Holocoast extremstes Leid erfahren musste, wendet dieselben Methoden an, um ein Grossreich zu errichten.
Siedlerkolonialismus heisst seit Jahrzehnten die Staatsdoktrin. Gaza wurde dem Erdboden gleich gemacht. Der Hamas-Terrorismus vom 7. Oktober soll die Begründung liefern. Ein Staat, der so überreagiert, verdient kein Mitleid mehr.
Und jetzt wird im Westjordanland die Politik der Vertreibung weitergeführt. 974 neue Wohneinheiten sollen südlich von Betlehem neu errichtet werden (BaZ vom 18.2. 2025): ein klarer Verstoss gegen internationales Recht. Bisher leben 500‘000 jüdische Siedler im Westjordanland, 3‘000‘000 Palästinenser dort sind in den Augen Israels 3 Mio. zu viel.
Israel zerstört sich auf lange Sicht selber.
"Liebe Schweiz", wer mit einem solchen Staat weiter Geschäfte betreibt, trägt eine Mitschuld.
Basel, 18. Februar 2025
Der folgende biografische Bericht ist nur auf den ersten Blick etwas Einzigartiges. Ich gehe davon aus, dass der persönliche Hintergrund in manchen Familien meiner Generation Vergleichbares zutage fördern würde. So gesehen, möchte ich meine Person nicht herausstellen, sondern vielmehr auf die Erfahrungsbreite so vieler meiner Zeitgenossen hinweisen.
Geboren im Jahre 1950, wuchs ich politisch in einem Klima des „Deutschenhasses“ und der Verklärung des Judentums auf.
Der 2. Weltkrieg wirkte im Bewusstsein der Eltern in vielfältiger Weise nach: Mein Vater verlor seine Studienjahre an die Wehrpflicht und an die Überhöhung schweizerischer Tugenden: Wehrhaftigkeit, Demokratie und Unabhängigkeit. 1938 in den Armeedienst eingetreten, erfüllte es ihn mit Befriedigung, zum Oberleutnant ernannt zu werden. Mit dem Ende des Krieges 1945 fiel diese zentrale Lebensaufgabe der Landesverteidigung weg – und das Studium der Jurisprudenz kam nicht mehr vom Fleck: er/es wurde zum Opfer politischer Umstände, und er brachte nicht mehr die Kraft auf, sich im zivilen Studienalltag durchzubeissen. Dazu kamen die angedrohten finanziellen Grenzen durch seinen Vater, den Schreinermeister in Zug. Seine spätere Frau / unsere Mutter lebte in der „kleinen“ Welt des Haushaltes und des Dorfes. Von Frauen wurden noch während Jahren keine politischen Beurteilungen erwartet – im Gegenteil.
Wohl oder übel suchte und fand mein Vater den Broterwerb in der Versicherungsbranche im Aussendienst. Neuer Lebensmittelpunkt wurde das Freiamt in Wohlen/AG. Mit 30 heiratete er. Als ältester Nachkomme neben drei weiteren Geschwistern erfuhr ich die bürgerliche Denkweise der „verschonten“ Nachkriegsgeneration. Es ging wirtschaftlich im Einklang mit der Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer stets aufwärts.
Verständlicherweise waren Ressentiments gegenüber „de Schwobe“ am Mittagstisch und vor dem TV-Gerät dauerpräsent. Die Erfahrungen mit dem Aggressor Deutschland und mit dem Verursacher des Holocaust liessen keine anderen Wertungen zu. Die USA als Retter der Alliierten, der sogenannt freien Welt - im 1. und 2. Weltkrieg - hatten den Nimbus der „Heilsbringer“. Damit wurde gleichzeitig der Kommunismus in Bausch und Bogen als neue Gefahr definiert. Dies war meine „Milch ideologischer Prägung“ der 50er Jahre bis 1968.
Und gleichzeitig war das uneingeschränkte Verständnis für die Wünsche der Juden nach einer staatlichen Bleibe geboren. Diese Bejahung zu einem jüdischen Nationalstaat hatte sich über Jahrzehnte verfestigt. Was Zionismus im Alltag konkret bedeutete, blieb im Verborgenen, wurde nicht diskutiert. Einzig die Zuwendung für ein bedrohtes und geschundenes Volk stand im Vordergrund. In unserem tiefbürgerlichen Aargau des Freiamtes und des Reusstals waren die Juden physisch unsichtbar. Bilder aus den Konzentrationslagern und das Buch der Anne Frank bestimmten den ideologischen Background.
Für mich als Jugendlichen in der Pubertät war der Roman „Exodus“ von Leon Uris polit-moralische Leitlinie und mitverantwortlich für mein damals ideologisches Verständnis. Im katholisch geprägten Gymnasium verfestigte der Geschichtsunterricht – falls der Nationalsozialismus und die Kriege im 20. Jahrhundert überhaupt Themen im Unterricht geworden waren – diese Sicht und damit verbunden das Mitleid für das verfolgte Volk der Juden. Wir hatten keine Ahnung, unter welchen Bedingungen der Staat Israel seit 1947/48 und später entstanden war. Der Grundsatz der Staatsgründung wurde vorbehaltlos anerkannt und bejaht.
Im Besonderen waren wir fasziniert von der Idee der Kibbuzim, der Idee der kollektiven Güterproduktion, inklusive der „gerechten“ Verteilung von erarbeiteten Gewinnen. Ein Kollege ging sogar für ein paar Wochen in ein Kibbuz, um tatkräftig am Aufbau des Staates Israel mitzuwirken. Die Bevölkerung von Israel, das Volk der
Juden wurde mit fast übermenschlichen Attributen versehen – ein Volk, das aus der Wüste mit unglaublicher Schaffenskraft blühende Landschaften schuf. Umgekehrt wurden die Palästinenser als faul und genügsam taxiert. Quasi das pure Gegenteil eines schweizerischen Emporkömmlings in den Startlöchern, dem der wirtschaftliche Aufstieg quasi in den Genen vorgezeichnet war.
Diese Überheblichkeit der „Rasse“ der Juden widerspiegelt die Logik vieler Kolonialisten – ob in Afrika, in den USA, in Australien, Kanada oder Neuseeland. Inzwischen konnte ich dies in einer hohen Zahl an Literatur zum Kolonialismus erkennen, der sich am Beispiel Palästina festgemacht folgendermassen erklärt: Palästina war vor der Kolonialisierung unfruchtbar, leer und rückständig. Hier muss die zivilisierte Welt übernehmen.
Ende der 60er und anfangs der 70iger Jahre traten aktuellere Themen in meinen Fokus: die kulturelle „Revolution“ der Hippie-Bewegung – eine Jugendbewegung, für die u.a. Naturverbundenheit, Konsumkritik, Drogenkonsum sowie der Bruch mit den damals gängigen Lebens- und Moralvorstellungen im Vordergrund standen. Und natürlich der Imperialismus der USA, der durch den Vietnamkrieg in mein Bewusstsein trat.
Beides - Hippie-Kultur und USA-Kritik – bestimmten über Jahre die politkulturelle Richtung meiner Generation. Sie war gleichzeitig Ausdruck der Ablösung von unseren Eltern. Das Kulturverständnis meines Vaters unter den Klängen des „General Guisan – Marsches“ war chancenlos im Widerstreit zur Hymne von Scott McKenzie’s „San Francisco (Be Sure To Wear Flowers In Your Hair)“.
Politisch eskalierten die Einschätzungen am Mittagstisch zu den Pariser Mai-Unruhen und zu den Rede-Duellen zwischen Franz Josef Strauss (CSU) und Herbert Wehner (SPD) zur Zeit der Bonner Republik. Das politische Tischtuch war zerbrochen. Auf persönlicher Ebene blieb die Zuwendung glücklicherweise bestehen.
„Gut meinend, wenig wissend, mehr lesend, stark wertend.“ Dies sind in etwa die Stationen meines Weges im Umgang mit dem Konflikt bis heute.
Zu Beginn war Palästina eine Worthülse, mal mit mehr Inhalt, dann wieder mit weniger angereichert. Dass da ein Konflikt ungelöst war, gehörte zu
meinem geschichtlichen Wissen. Ich habe mich aber nie vertieft mit den Ursachen auseinandergesetzt.
Folgende Schlagzeilen begleiteten mich:
· „Vier Flugzeuge, darunter eine Swissair DC-8, wurden von der Volksfront zur Befreiung Palästinas gekapert.“
· „Das Münchner Olympia-Attentat vom 5. September 1972 war ein Anschlag der palästinensischen Terrororganisation ‚Schwarzer September‘ auf die israelische Mannschaft bei den 20. Olympischen Sommerspielen. Elf der 14 israelischen Olympiateilnehmer wurden ermordet, darunter fünf Athleten.“
· „Das Friedensabkommen (Camp-David-Abkommen) zwischen Anwar as-Sadat und Menachem Begin, das 1979 unter Vermittlung von Jimmy Carter zum Friedensvertrag zwischen Ägypten und Israel führte.“
· „Der "Oslo Friedensprozess" mit den 'Oslo Abkommen' als Versuch, in den 1990ern den Frieden zwischen Palästinensern und Israelis herzustellen.“
So und ähnlich lauteten die Schlagzeilen in den Medien bis in die 90er Jahre. Zu meinem Bedauern muss ich gestehen, dass ich diesen Hintergründen auch damals noch zu wenig Beachtung geschenkt hatte.
Der Umgang mit Saisonniers, die „Schwarzenbach-Initiative“, die atomare Katastrophe von Tschernobyl, die Fluchtbewegung der Tamilen, Fragen zu einer gerechten Gesellschaft, die EWR-Diskussion und bildungspolitische Anliegen als Lehrer lagen in der Traktandenliste obenauf. Das Resultat war u.a. die Gründung einer grünen Partei – die ‚Frische Brise 86‘ in Steinhausen (Kanton Zug). Der Gang in die Institutionen führte mich 1990 in den Kantonsrat. Parallel dazu nahm das aktive Musizieren einen Grossteil meiner Freizeit ein. Ab Mitte der 90er Jahre wurde das Leben in der Familie zentral: es erfolgte ein gewisser Rückzug ins Private: Die Miterziehung und Betreuung unseres Sohnes dominierten nebst Beruf und Kultur das Leben bis zum Umzug nach Basel in der Pension.
Der 7. Oktober 2023 – der brutale „Überfall“ der Hamas auf israelisches Territorium und auf feiernde Menschen – war für mich ein intellektueller Weckruf. Jetzt wollte/musste ich endlich herausfinden, wie sich dieses menschenverachtende, jegliche Moralvorstellungen sprengende Verhalten der Hamas erklären liess. Es war keine kriegerische Handlung im modernen Sinne, kein Konflikt – geführt aus den „sicheren“ Bunkern und Armee-Offices an Knöpfen ferngesteuerter Waffen. Irgendwie fühlte ich mich an Bilder marodierender Wegelagerer aus mittelalterlichen Schilderungen und Kampfszenen erinnert: Mann gegen Mann, Männer gegen Frauen.
Als passionierter Zeitungsleser stimmte ich im ersten Augenblick in den Chor des einhelligen Aufschreis und in die indiskutable Verdammnis dieser Mord- und Blutorgie in den Medien ein. Nur – diese Empörung bot keine Erklärung oder Begründung für den „Hamas-Auftritt“. Das war der Moment für mich, „tiefer“ zu graben. Ich fand mich in der Buchhandlung wieder. Folgende Bücher legte ich auf mein Pult:
· „Wem gehört das heilige Land?“ von Michael Wolffsohn, 20. Auflage 2023
· „Palästina und die Palästinenser“ von Muriel Asseburg,, 4. Auflage 2023
· „Nie wieder? Schon wieder! Alter und neuer Antisemitismus“
von Michael Wolffsohn, 1. Auflage 2024
· „Feuer der Freiheit – Die Rettung der Philosophie in finsteren Zeiten 1933 – 1943“ von Wolfram Ellenberger, 8. Auflage 2021
· „Der hundertjährige Krieg um Palästina“, von Rashid Khalidi, 2. Auflage Mai 2024
· „Streifzüge durch Palästina“ von Raja Shehadeh“ – Notizen zu einer verschwindenden Landschaft
· „Die ethnische Säuberung Palästinas“ von Ilan Pappe, 4. dt. Auflage 2024
· „Hannah Arendt über Palästina“ (Zwei bisher unbekannte Texte), herausgegeben von Thomas Meyer, Piper Verlag, 2. Auflage 2024
Das "Bücherlesen" begann – parallel begleitet von der Tagespresse.
Und ich schwamm mit im alltäglichen Medienfutter, in einem Strom der Gleichförmigkeit – und wunderte mich über den Mainstream an Beurteilungen, der immer öfter darin gipfelte, dass alles, was sich kritisch zum Verhalten Israels äusserte, in die Schublade des „Antisemitismus“ gesteckt wurde. Wer eine mögliche Mitverantwortung Israels durch seine Historie als ursächlich verlauten lässt, muss peinlichst genau seinen Schilderungen eine wortreiche Verdammnis der Hamas-Attacke vorausschicken.
Selbst der aus Portugal stammende UN-Generalsekretär Antonio Guterres (*1949) blieb nicht verschont, weil er behauptete, jene Terroraktion – die er artig verurteilte – sei „nicht im luftleeren Raum“ entstanden. Michael Wolffsohn empfahl ihm: „Etwas mehr Zurückhaltung wäre für einen Repräsentanten dieses Lande nicht unangebracht gewesen, denn von 1497 bis zum Ende des autoritär-klerikalen Faschismus und Kolonialismus 1974/75 war Portugal „judenfrei“.
So weit geht also die Mitverantwortung eines Menschen des 20./21. Jahrhunderts für die jahrhundertealte Geschichte seiner Nation.
Inzwischen haben sich auch Basler StudentInnen – eine Bewegung ausgehend von den USA – kritisch mittels Besetzungen und Demos der Politaktualität „Palästina“ angenommen. Gleich dem „Amen“ in der Kirche werden auch diese Student*innen mit dem Vorwurf des Antisemitismus eingedeckt. Ich suchte vergeblich nach konkreten Begründungen für diese Disqualifizierung in den Tagesmedien (BaZ, BZ, Online-Medien, etc.). Ich kenne die Argumente dieser Student*innen im Detail nicht. Haben die Journalisten recherchiert, nach Begründungen gesucht? Antisemitische Äusserungen kann ich nicht ausschliessen. Ich halte es aber für ausgeschlossen, dass Antisemitismus im Vordergrund steht. Es dürfte um Kritik an der Politik Israels, um Kritik am Zionismus gehen. Hier wird und wurde der Vorwurf des Antisemitismus zum Totschlagargument. Er soll eine sachbezogene Auseinandersetzung verhindern. Der Rückblick in die Geschichte könnte unangenehm werden, er könnte Sachverhalte aufdecken, die mit aktuell gepushten Narrativen nicht übereinstimmen. Welch schockierendes Erwachen!
Das Online-Medium „Infosperber“ trug/trägt zu einer gewissen Vielfalt im Journalismus bei. Artikel aus der WOZ und Analysen im Online-Medium ‚Republik‘ schaffen einen Kontrapunkt. In Kombination damit ist für mich die Lektüre der Tageszeitung erträglicher. Aber – wie viele Menschen können sich überhaupt die Zeit für breite und vertiefte Informationsbeschaffung nehmen? Ist dies das Privileg von Menschen in Rente oder von StudentInnen?
Menschen bewerten oft spontan, von Emotionen getrieben. Diese reflexartigen Positionierungen – im Positiven wie im Negativen – können weit entfernt von einer sachlichen, wahrheitsbezogenen Einordnung sein. Ich verstehe dieses Muster, z.B. jenes des eruptiven Unverständnisses, der Wut, des spontanen Verurteilens oder der überschwänglichen Euphorie – sowohl im Privaten wie auch in der Beurteilung des Weltgeschehens. Speziell, wenn eine fehlgeleitete Ideologie und einseitige Sicht im Spiel sind. An Medien in einer demokratischen Gesellschaft setze ich aber höhere Ansprüche an Differenziertheit voraus.
Denn: Alles hat eine Vorgeschichte. Bevor man sich zu einem vorschnellen Urteil hinreissen lässt, braucht es Vorwissen, wenn es Bestand haben soll. Erst dadurch entstehen Verständnis und Erklärungen für menschliches Verhalten. So ist es auch im Politverständnis. Ich schliesse natürlich nicht aus, dass auch dann diverse Erklärungs-/Interpretationsmuster möglich und angebracht sind. Es gibt selten nur die eine richtige Wahrheit. Banale Erkenntnis.
Aber was ich z.Z. und auch schon bei anderen weltpolitischen Ereignissen den Medien anlaste, ist diese Einseitigkeit in der Berichterstattung und der Beurteilung der Ereignisse, z.B. auch im Palästinakonflikt. Statt dass die Tagespresse auch bei weltpolitischen Ereignissen kontroverse Positionen offenlegt, wird vorschnell zur „Schubladisierung“ gegriffen und mit der „Keule von Denkverboten“ operiert.
Im Journalismus vieler aktueller Mainstream-Medien herrscht ein eklatantes Defizit an geschichtlichem Wissen. Die Oberflächlichkeit nimmt zu. Recherchen sind Mangelware. Höchst selten wird der Blick auf die „Wurzeln politischer Wunden“ gelegt, wie beispielsweise im Palästina-Konflikt, wenn dessen Ursachen 90, 80 oder 76 Jahre zurückliegen.
Zudem wird in der Landschaft der Medien „links und rechts“ abgeschrieben, und einige Online-Medien kolportieren nicht selten Artikel von anderen Presseorganen unverändert und unkommentiert. Dies und die enorme Ausdünnung der Zeitungswelt in monopolartige Gebilde verstärken diese „Eintopf-Berichterstattung“. Und die zunehmend spärlichen Reste der Bevölkerung, die sich noch Zeitungen leisten, reihen sich ein im unkritischen Meinungsterror.
Es ist mir bewusst, dass die Presse-Erzeugnisse in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend Opfer der Wirtschaftlichkeit wurden und dadurch die Voraussetzungen für eine funktionierende Demokratie in Gefahr geraten. Unabhängiger Journalismus ist schon lange gefährdet, und die Problematik nimmt zu.
Dieses Muster der Uniformität und der ‚Beurteilung mit erhobenem Zeigefinger‘ von Politereignissen in der Welt durch die Medien war und ist im Übrigen auch im Ukraine-Konflikt zu beobachten. Ebenso zu den Zeiten der „Corona-Pandemie“.
In der vertieften Auseinandersetzung mit der Geschichte des Zionismus bis Ende der 40er Jahre des 20. Jahrhunderts nähere ich mich meinem Motiv, mich und weitere LeserInnen umfassender aufzuklären, und in verständlichen Worten dazu Stellung zu beziehen. Gerade sprachlich, aber auch in der detailreichen Ausführung der Begebenheiten, versuche ich, unkompliziert und nachvollziehbar zu beschreiben.
Also – graben wir tiefer in der Geschichte des Zionismus.
Das Ziel des Zionismus war die Wiederansiedlung der Juden in Palästina. Verständlich ist dieser Wunsch nach Jahrhunderten der Verfolgungen und Vernichtung in ganz Europa, die im Holocaust durch den Nationalsozialismus den Höhepunkt erlebte.
Der geografische Fokus des Zionismus auf „Palästina“ wird mit der jüdischen Geschichte der Frühzeit begründet. Ich beschränke mich dabei auf Wesentliches:
· Zu Zeiten, als in unseren Breitengraden noch weit und breit kein Habsburger zu sehen war, nahmen die „Kinder Israels“ – die Juden – die Region des heutigen „Heiligen Landes“ in Besitz. Wir sind in der Mitte des 13. Jahrhunderts vor Christus.
· Michael Wolffsohn bemerkt aber: „Historisch handfest wird die Volksgeschichte Israels frühestens um ca. 900 vor Christus.“
· 586 vor Christus wurde Judäa und der erste Tempel in Jerusalem zerstört. Dies war der Beginn der ersten Diaspora der Juden (Vertreibung aus der „Heimat“).
· Im 2. Jahrhundert, 142 vor Christus erfolgte die Neugründung eines jüdischen Königreiches.
· Knapp 80 Jahre später, 63 vor Christus erobert der Römer Pompejus den jüdischen Staat.
· Zwischen 66 und 70 nach Christus wütete der „Jüdische Krieg“ gegen Rom. Im Jahr 70 brennt der zweite Tempel in Jerusalem nieder. Damit hatten die Juden – zumindest in den Augen Roms – ihr Recht auf dieses Land verwirkt.
· DIES WAR DER BEGINN DER „EUROPÄISCHEN DIASPORA DER JUDEN“: Die Vertreibung der Juden aus Palästina.
Eine Anmerkung: Ein Blick auf das Gebiet der heutigen Schweiz zu jener Zeit offenbart: Innerhalb weniger Jahre eroberte Julius Caesar ganz Gallien und begründete damit die jahrhundertelange Herrschaft der Römer im Gebiet nördlich der Alpen. Von einer Wiederansiedlung oder Inbesitznahme z.B. der italienisch-sprachigen Schweiz durch die Nachfahren der Römer und Italiker ist mir bisher nichts bekannt ;-).
Palästina gehörte nach der Teilung des römischen Reiches zu Ostrom. 614 eroberten die Perser Palästina, gefolgt von den Arabern im Jahre 634 nach Christus. Nach weiteren Besetzungen Palästinas erobern die Kreuzfahrer 1099 Jerusalem.
· Ab 1517 währt die türkische Herrschaft über Palästina bis ins Jahr 1917
· In der Balfour-Erklärung von 1917 sicherte der britische Aussenminister Arthur James Balfour dem Zionisten Walter Rothschild die „Errichtung einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina“ zu.
>>> D.h., ca. 1‘850 Jahre nach der Vertreibung der Juden aus Palästina soll dort wieder deren nationale Heimstätte entstehen.
· 1918/22 wird Palästina als Folge der Ereignisse im 1. Weltkrieg britisches Mandatsgebiet.
· 29.11.1947: Die Vollversammlung der UNO beschliesst die Teilung Palästinas in je einen jüdischen und palästinensischen Staat (Resolution 181): Beginn des Bürgerkrieges und Intensivierung der ethnischen Säuberung durch die Juden.
· 14.5.1948: Ben Gurion verkündet die Unabhängigkeit des „Jüdischen Staates Israel“.
Nach der Lektüre der vergangenen Monate tendiere ich zur Einschätzung von Michael Wolffsohn (*1947 in Tel Aviv), Sohn deutsch-jüdischer Emigranten und Professor für ‚Neuere Geschichte‘.
· „Es (das Land) gehört niemandem, es gebührt allen. Allen, die überlebt haben. Allen, die dort leben wollen oder dort leben müssen. … Das „Heilige Land“ gehört den Überlebenden der verschiedenen Völker, auch Juden und Arabern natürlich. Das „Heilige Land“ war als Durchgangsland im Grunde immer multinational, multikonfessionell und multikulturell. Der Gedanke, es in den Staat EINER Nation, also in einen Nationalstaat, umzuwandeln, ist verständlich. Er ist jedoch unrealistisch.“
Und präzise diesem „unrealistischen“ Ziel sind der Zionismus (1896/97) und der Völkerbund (1947) gefolgt. Mit dem Resultat, dass seit ca. 130 Jahren Krieg, Zerstörung und Vertreibung zur immer wiederkehrenden Geschichte dieser Weltgegend gehören.
Das Kernproblem in einen Satz gegossen: Die Palästinenser wehr(t)en sich von Anbeginn gegen die Vertreibung, und Israel versucht seit der Staatsgründung, sein Gebiet mit allen „dienlichen“ Mitteln zu erweitern.
Selbst Hannah Arendt entwickelte schon früh Skepsis gegenüber dem, was sich da in Palästina entwickelte. Im Herbst 1935 machte sie sich bei ihren Besuchen in den Kibbuzim visionär ein Bild der zukünftigen Geschichte. Auf das Projekt eines zionistischen Staates bezogen, erkannte sie im ständig expandierenden Netzwerk dieser Kibbuzim ein wesentliches Element der Siedlungs- und Aneignungspolitik der jüdischen Minderheit gegenüber der noch immer überwältigenden Mehrheit der arabischen Bevölkerung Palästinas. Ihre Eindrücke beschreibt sie später so: „Ich erinnere mich noch sehr gut an meine erste Reaktion auf die Kibbuzim. Ich dachte: eine neue Aristokratie. Ich wusste schon damals … dass man dort nicht leben konnte. – Herrsche über deine Nachbarn – darauf läuft es letzten Endes hinaus.“ (bei Wolfram Ellenberger, S. 132)
Das Jahr 1882 wird mit dem Beginn der jüdischen Einwanderung nach Palästina in Verbindung gebracht. In fünf Wellen kamen zwischen 1882 und 1939 insgesamt rund 380‘000 Jüdinnen und Juden vor allem aus Europa und Russland bzw. der Sowjetunion. Ende des 19. Jahrhunderts entstand der politische Zionismus mit dem Ziel der Gründung einer Heimstätte in Palästina. Theodor Herzl, der 1896 sein Manifest „Der Judenstaat“ veröffentlichte, war Mitbegründer der ‚Zionistischen Weltorganisation‘.
1897 erster Kongress in Basel.
Der Wiener Journalist Theodor Herzl wusste bereits 1895, wohin die Reise der Palästinenser gehen sollte. Aus seinem Tagebuch: „Den Privatbesitz der angewiesenen Ländereien müssen wir sachte expropriieren. Die arme Bevölkerung trachten wir unbemerkt über die Grenze zu schaffen, indem wir ihr in den Durchzugsländern Arbeit verschaffen, aber in unserem eigenen Land jederlei Arbeit verweigern. Die besitzende Bevölkerung wird zu uns übergehen. Das Expropriationswerk muss ebenso wie die Fortschaffung der Armen, mit Zartheit und Behutsamkeit erfolgen.“ (Rashid Khalidi, „Der Hundertjährige Krieg um Palästina, S. 12)
An warnenden Stimmen mangelte es schon damals nicht. Yusuf Diya, der ehemalige Bürgermeister und Abgeordnete von Jerusalem sah die Probleme voraus. In seiner Antwort (1895) an Herzl betonte er, dass Palästina bereits eine einheimische Bevölkerung habe, die niemals akzeptieren würde, verdrängt zu werden. Wie Recht er doch hatte!
Die Gründerväter des Zionismus waren alles andere als religiöse Menschen. Es war ein politisches Projekt: Sie wollten verfolgte und bedrohte Juden retten, nicht das Judentum. Es ging erst mal um das nackte Überleben vor Pogromen vor allem im Osten Europas, Jahrzehnte vor dem nationalsozialistischen Terror in Deutschland. (Definition: Ein Pogrom ist eine gewaltsame Ausschreitung gegen Mitglieder einer religiösen, nationalen, ethnischen oder anderen Minderheit (ethnische „Säuberung“).
Zudem: Viele Zionisten waren nicht auf das „Heilige Land“ fixiert. Auch Argentinien oder sogar Uganda standen zur Diskussion, dies war aber nicht durchsetzbar. (nach Wolffsohn)
Da drängen sich „machtvoll“ Fragen auf:
· Wie berechtigt ist der Anspruch eines Volkes, dessen Klammer durch eine religiöse „Gemeinschaft“ definiert ist, ein Staatsgebiet zu reklamieren, das vor ca. 1‘850 Jahren unter Zwang aufgegeben werden musste?
· Wie sähen die europäischen Staaten von heute aus, wenn Stämme aus der Zeit der Völkerwanderung z.B. alte Besitzrechte auf Ländereien anmelden und „alte“ Grenzen einfordern würden?
· Wie würden die sog. weissen Eroberer (z.B. in den USA) reagieren, wenn die vertriebenen indigenen Völker von ehemals ihren Anspruch auf Grund und Boden anmelden würden?
· Und vor allem: Wie gerechtfertigt ist der Anspruch einer zahlenmässig krassen Minderheit (Juden) auf Gebiete einer Bevölkerung, die ein Mehrfaches (Palästinenser) ausmachen?
· U.v.a.m.
Das Gebiet, in das die Einwanderer kamen und das später das britische Mandatsgebiet Palästina werden sollte, war keineswegs unbewohnt. 1882 lebten dort etwa 450‘000 mehrheitlich muslimische Araber und etwa 15‘000 Juden. Die Neuankömmlinge wurden anfangs skeptisch beobachtet. Das Misstrauen verwandelte sich in Ablehnung, als die Juden neue, exklusive Wirtschaftsstrukturen (Kibbuzim, etc.) aufbauten. „Gesponsert“ aus der Diaspora (amerikanische und europäische Juden), erwarb der ‚Jüdische Nationalfonds‘ Land, das nur von Juden gepachtet werden durfte. Die Beschäftigung von Nichtjuden als Arbeitskräfte war verboten.
Vor Ort spitzten sich in der britischen Mandatszeit die Auseinandersetzungen zu, weil sich die ansässige Bevölkerung zunehmend ihrer Existenzgrundlage beraubt sah.
Der bedeutendste Schritt auf dem politisch-diplomatischen Parkett – quasi der Startschuss im hundertjährigen Krieg um Palästina – erfolgte am 2. November 1917 durch die sogenannte Balfour-Deklaration. Grossbritannien versprach damit Unterstützung für Theodor Herzls Ziele der jüdischen Staatlichkeit, Souveränität und Einwanderung in ganz Palästina. Die Deklaration bestand aus einem einzigen Satz:
„Die Regierung seiner Majestät betrachtet mit Wohlwollen die Errichtung einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina und wird ihr Bestes tun, die Erreichung dieses Zieles zu erleichtern, wobei, wohlverstanden, nichts geschehen soll, was die bürgerlichen und religiösen Rechte der bestehenden nichtjüdischen Gemeinschaften in Palästina oder die Rechte und den politischen Status der Juden in anderen Ländern in Frage stellen könnte.“
Dieses Versprechen war eine Ungeheuerlichkeit gegenüber der arabischen Bevölkerungsmehrheit (damals ca. 96%), welcher keine politischen oder nationalen Rechte zugestanden wurden. Einer winzigen Mehrheit von ca. 6% Juden wurden durch Aussenminister Balfour nationale Rechte zuerkannt.
Diese Erklärung markierte den Beginn eines kolonialen Konfliktes, eines hundertjährigen Angriffs auf das palästinensische Volk, der noch lange nicht zu Ende geht, wie die aktuelle Situation tagtäglich demonstriert.
· Folge davon war u.a. ein ‚Arabischer Aufstand‘ (1933 – 1936).
· 1937 lag ein erster Plan zu einer Zweistaatenlösung vor. Dieser fand auf jüdischer Seite Zustimmung, doch die arabische Seite lehnte ab.
· Später im II. WK unterstützte die zionistische Führung die Kriegsziele der Alliierten und forderte gleichzeitig die unbeschränkte jüdische Einwanderung sowie die Gründung eines jüdischen Staates in Palästina.
Weitere Vermittlungsbemühungen der Briten blieben erfolglos, mit dem Resultat, dass die „Geschicke“ in die Hände der neu gegründeten ‚Vereinten Nationen‘ gelegt wurden.
Am 29. November 1947 wurde in einer UNO-Resolution ein Teilungsplan beschlossen: 56% des Gebietes zum jüdischen Staat / 43% zum arabischen Staat, dies bei Bevölkerungsanteilen von damals ca. 70% Arabern und 30% Juden. Wer da jubeln durfte, muss nicht näher erläutert werden.
Ein neues Unrecht wurde in die Welt gesetzt, das uns bis heute verfolgt. Die Folge dieser „Lösung“ waren Guerilla-Attacken durch Palästinenser, Gewalt durch zionistische Vorläufer der israelischen Armee und unkoordinierte „schmalbrüstige“ arabische Freischärler-Truppen.
· Am 14. Mai 1948 endete das britische Mandat über Palästina.
· Ben Gurion als Ministerpräsident der provisorischen Regierung verlas die Unabhängigkeitserklärung des Staates Israel.
· 24 Stunden später brach der erste israelisch-arabische Krieg aus, der mit einer vernichtenden Niederlage der Arabischen Liga endete.
· 1949 erfolgte ein Waffenstillstandsabkommen zwischen Israel und den Nachbarstaaten: aber kein Friedensabkommen.
Wie hat Hannah Arendt im Angesicht der Kibbuzim so treffend und kritisch bemerkt: – „Herrsche über deine Nachbarn – darauf läuft es letzten Endes hinaus.“
Dies war und blieb für die Palästinenser eine Katastrophe (arab. Nakba).
Konkret:
· Rund 77% Dauerverlust des Gebietes des mehrheitlich arabischen Palästinas
· Flucht und Vertreibung von rund drei Vierteln der in Palästina ansässigen Bevölkerung
· Ca. eine Dreiviertelmillion Menschen verliessen das Gebiet des israelischen Staates
· Etwa 25‘000 blieben, verloren aber ihre Existenzgrundlage
· Für Hunderttausende begann ein Leben im Exil
Die Erinnerung an das Unrecht von 1948 prägt als kollektives Trauma die palästinensische Gesellschaft bis heute. „Genährt“ wird diese Erinnerungskultur durch zahllose Auseinandersetzungen in Kriegen, Tötung, Zerstörung, Ausgrenzung, gewaltsamer Besiedlung und weiteren Fluchtbewegungen – bis heute und auch morgen. Gewaltanwendung von beiden Seiten wird den Frieden nie und nimmer in diese Region bringen.
Es ist für mich unbegreiflich und nicht erklärbar, wie die jüdische Bevölkerung und ihre Führung in Palästina nach deren Erlebnissen durch Pogrome und den Holocaust eine solche Brutalität und Menschenverachtung gegenüber den PalästinenserInnen an den Tag legen konnten. Das erfahrene Leid über Jahrhunderte hinweg, verbunden mit der Verfolgung und der Tötungsmaschinerie durch die Nazis (1933 – 1945), mündete 1947 bis 1949 in Vertreibung, Massaker und Zerstörung der Lebensgrundlagen der arabischen Bevölkerung in Palästina durch die jüdischen Einwanderer. Es macht mich fassungslos zu sehen, wie ehemalige Opfer die Methoden der selbst erlebten Unterdrückung skrupellos in ihre Täterrolle umlenken konnten.
Ich stütze mich bei den folgenden Aussagen und Schilderungen vorwiegend auf die Ausführungen des jüdischen Historikers Ilan Pappe in seinem Buch „Die ethnische Säuberung Palästinas“. Pappes Aussagen und Beschreibungen basieren hauptsächlich auf schriftlichem Quellenmaterial, u.a. Ben Gurions Diary / Yossef Weitz, My Diary / Benny Morris, The Birth of the Palestinian Refugee Problem oder auf Dokumente in Israeli Defence Forces (IDF) – Archive.
Dieses Buch ermöglicht Antworten auf die Tatsache, dass seit 1947 bis heute periodisch wiederkehrende gewaltsame Konflikte die Schlagzeilen unserer Medien bevölkern. Pappe macht auch bewusst, warum sich in der westlichen Welt ein fehlgeleitetes Narrativ seit Generationen in unseren Köpfen verfestigt hat – so auch bei mir (siehe oben): Es braucht eine historisch gründliche Aufarbeitung der Ursachen dieses Konfliktes, vor allem in Israel. Und solange dies nicht geschieht, wird es noch viele „7. Oktober 2023“ geben.
Gerade heute, am 14. 6. 2024 – unter dem Eindruck der möglichen Eskalation mit dem Libanon – wirken die Schlussworte von Ilan Pappe im Epilog, S. 338 seines Buches aus dem Jahre 2006 noch um einiges beklemmender:
· „Die israelischen Angriffe auf Gaza und den Libanon im Sommer 2006 lassen erkennen, dass dieser Sturm bereits tobt. Organisationen wie Hisbollah und Hamas, die Israels Recht, Palästina einseitig seinen Willen aufzuzwingen, in Frage zu stellen wagen, haben sich Israels Militärmacht gestellt und schaffen es bislang (zur Zeit der Entstehung dieses Buches – 2006!), ihr standzuhalten. Aber es ist noch lange nicht vorbei. In Zukunft könnten die regionalen Schutzherren dieser Widerstandbewegungen, Iran und Syrien, ins Visier geraten; das Risiko eines noch verheerenderen Konflikts und Blutvergiessens war noch nie so akut.“
Und weiter geht es bis heute im Jahre 2024:
Geschichtsvergessen, Geschichte verdrängend und voller Geschichtsklitterung belügen sich Israel und die westliche Welt permanent selber. Dies kann der Boden für einen selbstverursachten Weltenbrand werden.
Diese Worte stehen für die Säuberung von Palästina durch den Staat Israel. Die Methode der Räumung des Landes war seit der Frühzeit des Zionismus angekündigt und Kern des Unternehmens.
Einer der liberalsten Denker der zionistischen Bewegung, Leo Motzkin schrieb 1917:
· „Nach unserer Vorstellung muss die Kolonisierung Palästinas in zwei Richtungen Erfolgen: Jüdische Ansiedelung in Eretz Israel und Umsiedlung der Araber aus Eretz Israel in Gebiete ausserhalb des Landes.“
Und David Ben Gurion bestätigt diesen Kurs 1938
· „Ich bin für Zwangsumsiedlung; darin sehe ich nichts Unmoralisches.“
Der führende Zionist Jabotinsky schreibt 1939:
· „Die Araber müssen Platz für die Juden in Eretz Israel machen. Wenn es möglich war, die baltischen Völker umzusiedeln, ist es auch möglich, die palästinensischen Araber umzusiedeln.“
Am 3. Dezember 1947 sprach sich David Ben Gurion in einer Rede vor der Mapai (Israelische Arbeiterpartei) gegen die UN-Teilungsresolution wie folgt aus:
· „In den Gebieten, die dem jüdischen Staat zugewiesen sind, gibt es 40 % Nichtjuden. Diese Zusammensetzung ist keine solide Basis für einen jüdischen Staat. Und dieser neuen Realität müssen wir uns in ihrer ganzen Härte und Klarheit stellen. Ein derartiges demografisches Verhältnis stellt unsere Fähigkeit in Frage, jüdische Souveränität zu bewahren … Nur ein Staat mit mindestens 80 % Juden ist ein lebensfähiger und stabiler Staat.“
Dieses Konzept wurde systematisch umgesetzt und bestimmt heute noch - u.a. mit der Siedlungspolitik - die israelische Polit-Agenda.
Die „Vertreibung“ der PalästinenserInnen begann nicht erst nach Ablauf des britischen Mandats und der Staatsgründung am 14. Mai 1948. Monate vorher war dieser Prozess bereits an der Tagesordnung.
Und es ist für mich unvorstellbar, die Fülle der Ungeheuerlichkeiten dieser ‚Politik der Vertreibung‘ zu verstehen und zu akzeptieren. Obwohl die Lektüre des Buches „Die ethnische Säuberung Palästinas“ (Ilan Pappe) mit der Aneinanderreihung von Zeugnissen der „Unmenschlichkeit“ die Grenze des Erträglichen überschreitet, empfehle ich allen Menschen, die sich mit dem Konflikt auseinandersetzen, das Buch zu lesen. Nachweislich wurden 11 Stadtviertel und 531 palästinensische Dörfer zwangsgeräumt, viele dem Erdboden gleichgemacht: 800‘000 Menschen sind geflohen. Rückkehr ausgeschlossen. Heute bedecken Wälder, Parks und Freizeiteinrichtungen die einstigen Dörfer.
Ethnische Säuberung gilt heutzutage unumstritten als Verbrechen gegen die Menschlichkeit und als ein Vorgehen, das mit Kriegsverbrechen einhergeht.
Einige wenige Beispiele aus unterschiedlichen Zeitfenstern dokumentieren diese Fakten. Ich möchte sie als Momente der Erinnerung in diesen Text einflechten:
· Aus dem Tagebuch von Ben Gurion. Diary, 1.1.1948:
„Es ist jetzt notwendig, energisch und brutal zu reagieren. Wir müssen Zeitpunkt, Ort und die, die wir angreifen, sorgfältig auswählen. Wenn wir eine Familie beschuldigen, müssen wir erbarmungslos gegen sie vorgehen. Frauen und Kinder eingeschlossen. Sonst ist es keine effektive Reaktion. Während der Operation ist es nicht nötig, zwischen schuldig und unschuldig zu unterscheiden.“
Im März 1948 wurde ein Masterplan zur Zwangsräumung sämtlicher Dörfer im ländlichen Palästina – der Plan Dalet – im Führungsgremium unter Ben Gurion entworfen. Dieser wurde an sämtliche Geheimdienstoffiziere der Hagana (der damaligen Untergrundarmee) weitergegeben.
· Das Beispiel des Dorfes Deir Yassin:
Am 9. April 1948 besetzten jüdische Truppen das Dorf. Sie nahmen die Häuser mit Maschinenpistolen unter Dauerbeschuss, trieben anschliessend die übrigen Einwohner an einem Ort zusammen, ermordeten sie, schändeten ihre Leichen und vergewaltigten eine Reihe von Frauen. Zeitgenössische Darstellungen sprechen von 254 Opfern des Massakers von Deir Yassin.
Albert Einstein und 27 prominente New Yorker Juden verurteilten dieses Massaker in einem Brief in der ‚New York Times‘ (4. 12. 1948).
Der Augenzeuge Fahim Zaydan erinnert sich:
„Sie holten uns nacheinander heraus, erschossen einen alten Mann, und als eine seiner Töchter schrie, erschossen sie sie ebenfalls. Dann riefen sie meinen Bruder Muhammad und erschossen ihn vor unseren Augen, und als meine Mutter sich schreiend über ihn beugte – sie hatte noch meine kleine Schwester Hudra im Arm, die sie gerade stillte – erschossen sie sie auch.“
· Am 7. April 1948 kam die Beratergruppe um Ben Gurion wieder zusammen und beschloss, sämtliche Dörfer an den Strassen von Tel Aviv nach Haifa, von Jenin nach Haifa und von Jerusalem nach Jaffa zu zerstören und die Einwohner zu vertreiben. (nach Morris)
Das Beispiel Jaffa am 13. April 1948:
· 5‘000 jüdische Soldaten belagerten die Stadt. Ihnen stellten sich 1‘500 Freiwillige erfolglos entgegen. Als Jaffa fiel, wurden die gesamten 50‘000 Einwohner vertrieben.
„Mit dem Fall dieser Stadt hatten die jüdischen Truppen alle grösseren Städte und Gemeinden Palästinas besetzt, geräumt und entvölkert. Die überwiegende Mehrheit ihrer Einwohner … sahen ihre Heimatstädte nie wieder.“ (Ilan Pappe)
· Dies verleitete Yossef Weitz zur Aussage:
„Unsere Armee marschiert voran und erobert arabische Dörfer und ihre Einwohner flüchten wie Mäuse.“ (in „My Diary“)
· Und Ben Gurion schrieb am 14. April 1948 an Sharett:
„Von Tag zu Tag weiten wir unsere Besetzung aus. Wir besetzen neue Orte und haben gerade erst angefangen.“
All das geschah, bevor auch nur ein einziger regulärer arabischer Soldat Palästina betreten hatte. Zwischen dem 30. März und dem 15. Mai wurden 200 Ortschaften besetzt und ihre Einwohner vertrieben. Und dies geschah in Anwesenheit von 75‘000 britischen tatenlos zuschauenden Soldaten, welche noch unter dem Mandat standen. Denn zur Mandatszeit liess Grossbritannien die ethnische Säuberung vor den Augen seiner Soldaten und Beamten zu. Ihre Untätigkeit war die Regel.
Während der jüdischen Operationen von Januar bis Mai 1948, bei denen etwa 250‘000 Palästinenser gewaltsam aus ihrer Heimat vertrieben wurden, schaute auch die Arabische Legion nur untätig zu.
Gleichzeitig gelang es der Führung der Juden die Mär zu verbreiten und zu zementieren, der jüdische Staat sei von einer potentiellen Vernichtung bedroht, oder ein „zweiter Holocaust“ stehe vor den Toren Israels. Die Realität im Lande sah dagegen fast genau umgekehrt aus: Palästinenser waren von massiven Vertreibungen bedroht. Die israelische Geschichtsschreibung sprach von den härtesten Monaten ihres Existenzkampfes. In Tat und Wahrheit versuchten die Palästinenser sich in Wirklichkeit vor dem Schicksal der Vertreibung durch die Juden zu schützen.
Trotz des britischen Abzugs und potentieller Probleme mit der arabischen Welt, welche Truppen nach Palästina schickte, gingen die ethnischen Säuberungen ohne Unterbrechung weiter. Um mit David Ben Gurions Worten zu sprechen: „Wir haben gerade erst angefangen.“
Die militärischen Interventionen der arabischen Länder führten relativ schnell zu einer Patt-Situation des Konfliktes. Insbesondere die Stärke der jordanischen Armee machte sich für Israel in Ost-Jerusalem und im Westjordanland negativ bemerkbar. Das Resultat war eine erste vierwöchige Waffenruhe (ab 8. Juni 1948), initiiert durch den UN-Vermittler Graf Folke Bernadotte. Nach Ablauf der Waffenruhe nach dem 9. Juli ging die Vertreibung im grossen Stil weiter: In weniger als zwei Wochen wurden Hunderttausende Palästinenser aus ihren Dörfern, Gemeinden und Städten vertrieben.
Graf Bernadotte‘s kritische Haltung gegenüber der Israel-Politik – er forderte u.a. ein Rückkehrrecht sämtlicher Flüchtlinge - wurde als „unangebrachte Störung“ empfunden, und im September 1948 wurde Graf Bernadotte von jüdischen Terroristen ermordet.
Trotzdem hatte die UN-Vollversammlung im Dezember 1948 eine UN-Resolution (194) mit der Forderung nach einer uneingeschränkten Rückkehr aller Flüchtlinge, die Israel vertrieben hatte, angenommen. Es blieb eine von unzähligen UN- Resolutionen, die Israel seitdem sämtliche ignoriert hat.
· Und die Politik der Säuberung ging nach bekanntem Muster weiter:
„Die Besatzungstruppen befahlen den „Männern“ des Dorfes Ayn Ghazal, sich an einer Stelle zu sammeln, wie sie es routinemässig taten. Kurz darauf kamen der, wie üblich vermummte Informant und der Geheimdienstoffizier. Sie suchten 17 der Männer aus, weil sie sich angeblich an der Revolte 1936 beteiligt hätten und erschossen sie an Ort und Stelle. Die übrigen wurden vertrieben.“ (Khalidi, All That Remains)
Das exemplarische Vorgehen am Beispiel der Stadt Haifa
· Ein weiteres Beispiel für die „israelischen Politik der Eliminierung“ in Haifa 1947: Zu diesem Zeitpunkt lebten in der Stadt 75.000 Juden und 65.000 Araber. Die Brigaden, darunter die Carmeli-Brigade in Haifa, erhielten die Anweisung, eroberte arabische Dörfer und Stadtviertel «zu säubern oder zu zerstören», wie Benny Morris erstmals 1987 in seinem 2004 überarbeiteten Buch The Birth of the Palestinian Refugee Problem berichtet.
· Die Carmeli-Brigade setzte den Plan D um. Am nächsten Tag machte sie sich auf den Weg, um «zu säubern oder zu zerstören». Das Bataillon 22 erhielt laut Morris den Befehl, «jeden [erwachsenen männlichen] Araber, auf den sie stoßen, zu töten». Ein jüdischer Kämpfer beschrieb, wie die Haganah von der Nähe des Haifaer Rothschild-Krankenhauses auf dem Berg Mörser auf den belebten Marktplatz in der Unterstadt abfeuerte: «Als die Bombardierung begann und die Granaten auf die Menge fielen, brach eine große Panik aus. Die Massen stürmten zum Hafen, drängten die Polizei beiseite, stürmten die Boote und flohen aus der Stadt.»
· Anfang Mai 1948 lebten nur noch 3.500 Araber in Haifa, 95 Prozent waren geflohen. «Das arabische Haifa schmolz in einem Augenblick, in einem Wimpernschlag, innerhalb weniger Tage im April dahin», schrieb Yfaat Weiss.
· Haifa wurde eine jüdische Stadt. Die Entleerung der arabischen Stadt diente als Modell für weitere städtische Nakbas, von denen in den folgenden Wochen auch Jaffa, Akko und Safed betroffen wurden.
Generell konnte beobachtet werden, dass mit oder ohne Waffenruhe weitere Dörfer zerstört wurden. Einzig Gaza durch ägyptische Truppen und das Westjordanland und Ost-Jerusalem durch jordanische Truppen wurden dem Zugriff Israels vorläufig entzogen. Aber innerhalb des bereits annektierten Territoriums durch Israel wurden die Säuberungsaktionen vor den Augen der UN-Emissäre weitergeführt.
· Die „Säuberungswut“ der israelischen Armee bediente sich auch „prophylaktischer“ Methoden. Gewaltandrohung und das Aufzeigen unermesslicher Brutalität in anderen Ortschaften trieben viele Menschen vorzeitig aus ihren Häusern und in die Flucht.
· Es gibt Gebiete in Israel – u.a. Galiläa (Stand 2006) – wo es nicht gelang, diese trotz intensiver Judaisierungsprozesse jüdisch zu machen. Dieses Unvermögen äussert sich dann in Bezeichnungen der Palästinenser, sie seien ein „Krebsgeschwür im Staatskörper“ (Israel Koening, der höchste Staatsbeamte im Innenministerium, 1976). Der israelische Generalstabschef Raphael Eitan nannte sie zu seiner Zeit öffentlich „Kakerlaken“.
1948 wurden in den Gebieten, aus denen der Staat Israel hervorging, 85 Prozent der ansässigen Palästinenser zu Flüchtlingen. Schätzungen zufolge gab es Anfang 2003 mehr als sieben Millionen palästinensische Flüchtlinge und Vertriebene. (Badil Resource Center: Facts and figures)
Der Historiker Patrick Wolfe vertrat die Ansicht, dass im Gegensatz zu einem Kolonialismus, der auf die Ausbeutung der Eingeborenen abziele, der Siedlerkolonialismus darauf aus sei, sie (die Eingeborenen/die Palästinenser) zu ersetzen, und somit eine «Logik der Eliminierung» hervorbringe. Als Beispiel nannte er den Zionismus, wobei er sich auf Herzls 'Altneuland' bezog.
Das System der Vertreibung / der Eliminierung gehört zur DNA des Staates Israel und geht bis heute weiter: „In der Westbank gibt es zur Zeit (Sommer 2024) 400‘000 – 450‘000 Siedler. In Ost-Jerusalem ca. 200‘000 – 250‘000 Siedler.“ (Helga Baumgartner, Interview beim Sender ‚Jung und Naiv‘)
Die systematische Zerstörung der palästinensischen Dörfer hatte zum Zweck, jegliche Rückkehr der Geflüchteten zu verunmöglichen. Israel beschleunigte die Abrissarbeiten gegen Ende des Jahres 1948 mit dem ausdrücklichen Ziel, jeder Diskussion über eine Rückkehr der Flüchtlinge in ihre Häuser die Grundlage zu entziehen, da diese Häuser dann ja nicht mehr existierten.
Für die offizielle israelische Politik wäre eine Diskussion um ein Rückkehrrecht aus zwei Gründen der grösste „Gau“:
a) Dahinter steht eine tief sitzende Angst vor einer Debatte über die Ereignisse von 1948, da Israels Behandlung der Palästinenser in jener Zeit zwangsläufig beunruhigende Fragen nach der moralischen Legitimität des gesamten zionistischen Projekts aufwerfen würde. Der Verleumdungsmechanismus und die erfundene, fehlgeleitete Geschichtsschreibung würden mit einem Male sichtbar und wären nicht mehr aufrecht zu erhalten. Israel müsste sich mit einer solchen Anerkennung (Rückkehrrecht) dem historischen Unrecht stellen.
b) Eine Rückkehr der Vertriebenen würde für Israel zu einem demografischen Problem erster Güte werden. Die Machtverhältnisse gerieten aus der Balance, und das bisherige Selbstverständnis wäre in Gefahr. Zudem haben die Palästinenser im Vergleich zu den Juden eine höhere Geburtenrate. David Ben Gurion lieferte bereits im Dezember 1947 die Begründung für eine zukünftige Dysbalance: „Es kann keinen stabilen, starken jüdischen Staat geben, solange er eine jüdische Mehrheit von nur 60 Prozent hat“. Für eine Korrektur sorgte dann seine ethnische Säuberung im neuen jüdischen Staat mit einem Palästinenser-Anteil von 20 Prozent.
Hinter der Weigerung, den Palästinensern das Rückkehrrecht zuzugestehen, steht im Kern die Angst der jüdischen Israelis, dass die Araber letzten Endes in der Überzahl sein werden.
Selbst UN-Beobachter meldeten im Oktober 1948 dem UN-Generalsekretär, Israels Politik bestehe darin, „Araber mit Gewalt oder Drohung aus ihren Heimatorten in Palästina zu vertreiben.“ (United Nations Archives)
Sie waren auch schockiert über das Ausmass der Plünderungen, die bis Oktober 1948 jedes Dorf und jede Stadt Palästinas ereilt hatten. Doch es gab keine Reaktion: nur Worte, keine Taten.
Indem die israelische Regierung alle Privatvermögen und das gesamte Gemeineigentum der vertriebenen Palästinenser ihrer Verwaltung unterstellte, konnte sie diese Vermögenswerte später unter dem fadenscheinigen Vorwand, niemand habe Ansprüche darauf erhoben, an öffentliche oder private jüdische Gruppen oder Personen verkaufen: Ein staatlicher Raubzug auf privates Vermögen der Vertriebenen.
Das aggressive Momentum der Kibbuzim-Idee nach „Beherrschung der Nachbarn“ hatte Hannah Arendt schon im Herbst 1934 bei ihrem Besuch in Palästina beklagt. (siehe oben)
Folgerichtig verurteilte sie auch die Beschlüsse des Biltmore-Programmes (1942 im New Yorker Biltmore-Hotel) als „tiefe Verfehlung, ja geradezu als Verrat an der zionistischen Bewegung“. In der fixen Idee eines Nationalstaates als notwendige Einheit von Volk, Territorium und Staat sah sie visionär den Konflikt voraus, mit dem wir seit bald 90 Jahren in Palästina konfrontiert sind. Der dort ebenfalls ansässigen, faktischen Mehrheitsbevölkerung der Araber sollten lediglich Minderheitenrechte zukommen. Arendt hielt diesen Beschluss von Biltmore (unter Federführung von Davis Ben Gurion) auch realpolitisch für eine „selbstzerstörerische Narretei“. (nach Wolfram Ellenberger)
Nun – inzwischen wissen wir, dass die Mehrheitsbevölkerung (die Araber) durch Vertreibung in eine krasse Minderheit versetzt wurde. Soweit die realpolitische Sicht der Gründergeneration des Staates Israel.
Die deutsch-jüdische Politologin und Philosophin Hannah Arendt (1906 – 1975) hatte zunächst Sympathien für den Zionismus. In Paris, wohin sie vor den Nazis geflohen war, hatte sie für zionistische Organisationen gearbeitet. Später im Exil in den USA war ihre Position zu Israel stark von den eigenen Erfahrungen von Flucht und Vertreibung geprägt.
Arendt kritisierte aber die Idee des Nationalstaates, wenn er Homogenität forderte. Wenn ein Teil der Menschheit ein Stück der Erde für sich allein beanspruche, müsste das zu einem Genozid führen. Die amerikanisch-jüdische Philosophin Judith Butler schreibt über diese Position Arendts: „Wenn Arendt Recht hat, war der Siedlerkolonialismus nie legitim, und ebenso wenig waren es die Vertreibungen angestammter Bevölkerungsgruppen auf Basis ihrer Nationalität und die fortgesetzte Enteignung und Vertreibung des palästinensischen Volkes.“ (aus einem ‚Kritischen Kommentar‘ von Arn Strohmeyer, 2. Dez. 2017)
Der Nationalstaat, der nach Homogenität seiner Bevölkerung strebt, muss – davon ist Hannah Arendt überzeugt – strukturell zu Vertreibungen und Flüchtlingsströmen führen. Lehnt ein Staat die Heterogenität und damit die Gleichstellung seiner Bevölkerung ab, kann er sich nicht die Zustimmung und Unterstützung aller seiner Bürger sichern, dann ist er illegal. Israels Demokratie mangelt es also an Legitimität, weil sie sich nicht auf den gesamten Volkswillen berufen kann. (aus einem ‚Kritischen Kommentar‘ von Arn Strohmeyer, 2. Dez. 2017)
In dem Aufsatz „Der Zionismus aus heutiger Sicht“ gibt sie ausschließlich den Zionisten die Schuld für den „tragischen Konflikt“, der in Palästina entstanden ist. Denn im Biltmore-Programm habe die zionistische Weltorganisation alle Rücksichten abgelegt und die Forderung nach einem „freien und demokratischen jüdischen Gemeinwesen“ erhoben, das „ganz Palästina ungeteilt und ungeschmälert umfassen soll.“
Genauso ist es gekommen, nur dass die Flucht von Hunderttausenden von Palästinensern nicht „freiwillig“ (wie von den Zionisten behauptet) erfolgte. Und so nahm der „tragische Konflikt“ seinen weiteren Lauf.
Hannah Arendt verabschiedete sich nicht von der Idee, eine nationale Heimstatt für das jüdische Volk zu schaffen, aber nicht in der Form eines klassischen Nationalstaates alteuropäischer Prägung. Ihr schwebte eine föderative Lösung vor. Mit dieser Idee stand sie aber einsam in der „jüdischen Landschaft“ da.
Sie war zu keinem Zeitpunkt grundsätzlich gegen die Gründung des Staates Israel – „sie war gegen eine Gründung des Staates Israel, die … nur unter den Bedingungen der Abhängigkeit von einer Garantiemacht stattfinden könnte.“ (Thomas Meyer, 2024).
Und diese Garantiemacht ist bis heute die USA. Sie trägt somit die Mitverantwortung für die nicht aufhörende Gewalt im Nahen Osten. (siehe Karrikatur oben)
Obwohl es zur Zeit unmöglich scheint, Optimismus auf eine realistische Lösung des Palästinakonfliktes zu bewahren, gibt es mögliche Hinweise von Hannah Arendt aus dem Jahre 1958. Zusammen mit 16 Wissenschaftlern entwickelte sie damals Voraussetzungen für einen nachhaltigen Frieden. Aufgrund klarer Analysen entstanden in diesem Gremium Lösungsvorschläge des israelisch-arabischen Konflikts im 20. Jahrhundert. Die Auseinandersetzung mit diesen Vorschlägen könnte auch heute noch Anhaltspunkte für die heutige Situation nach dem 7. Oktober bieten. Thomas Meyer empfiehlt zurecht: „Es war noch nie klug, das Wissen und die Hoffnungen früherer Generationen zu ignorieren.“ (Hanna Arendt über Palästina, S. 259)
Einige bedenkenswerten Überlegungen aus dem Jahre 1958
Das 17er-Gremium des ‚Institute for Mediterranean Affairs‘ setzte eine mögliche Versöhnung im Rahmen eines ganzheitlichen Planes vor. Ganzheitlich heisst, es müssten alle 23 Punkte Beachtung finden. Im Zentrum aller Diskussionen stand/steht das Ziel, das Flüchtlingsproblem der vertriebenen Palästinenser zu lösen. Diese Analyse und Zielsetzung hat auch heute noch Gültigkeit.
„Wenn sich das psychologische Klima tatsächlich ändern und eine echte Aussicht auf einen stabilen Frieden in diesem Teil der Welt bestehen soll, muss zunächst das palästinensische Flüchtlingsproblem gelöst werden.“ (Plan für eine Lösung, 1958, S. 52). „Eine Lösung dieses Problems ist (natürlich unter anderem) für die Sicherheit der ganzen Welt notwendig.“ (ebanda, S. 53)
Das 17er-Gremium definierte in 23 Punkten die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Lösung. Nachzulesen auf den Seiten 81 – 86 im Buch des Herausgebers Thomas Meyer. Ich möchte noch einmal betonen: Diese 23 Vorschläge könnten eine Blaupause auch für die nächste Zukunft in Palästina in einem einzigen binationalen Staat werden. INTEGRATION wäre das Schlüsselwort im Sinne von GLEICHHEIT DER RECHTE, bzw. GLEICHHEIT VOR DEM GESETZ. Nach meinen intensiven „Studien“ der letzten Monate sehe ich darin grössere Chancen als in einer Zweistaatenlösung, wie sie jetzt wieder vielerorts (auch von der USA) angepriesen wird.
Ich zitiere nur zwei Punkte aus dieser ganzheitlichen Lösung:
Punkt 1: „Wir schlagen die Einrichtung einer UN-Sonderkommission beziehungsweise Rückführungs- und Umsiedlungsbehörde (RRA) vor, die gegenüber der Generalversammlung der Vereinten Nationen verantwortlich und mit der Aufgabe betraut ist, das palästinensische Flüchtlingsproblem sowohl durch die Rückführung und Umsiedlung der palästinensisch-arabischen Flüchtlinge als auch durch die Überwachung von Entschädigungszahlungen für Eigentum, das arabische Flüchtlinge im israelischen Palästina sowie jüdische Auswanderer in arabischen Staaten zurückgelassen haben, zu lösen.
Punkt 22: Die Vereinigten Staaten und andere UN-Mitglieder sollten bereit sein, einen erheblichen Beitrag zu den Kosten für die Lösung des palästinensischen Flüchtlingsproblems zu leisten. Selbst wenn die Vereinigten Staaten allein die Kosten des gesamten Projekts trügen, wäre das ein sehr geringer Preis, wenn man berücksichtigt, welchen Beitrag dies zu einer Entspannung im Nahen Osten und der daraus resultierenden Verringerung der Weltkriegsgefahr leisten würde.
Persönliche Zwischenbemerkung:
Mein Studium zur Geschichte Palästinas in den vergangenen Monaten, gepaart mit meinen Beobachtungen der unsäglichen gewaltsamen Ereignisse aktuell bestärkten meine Angst, dass sich der Konflikt im Nahen Osten zu einer Weltkriegsgefahr ausweiten könnte.
Die Geschichte seit Anbeginn lehrt uns, dass die Palästinenser ihre Vertreibung nicht vergessen werden. Trotz den ungleichen Kräfteverhältnissen bei der Anwendung von Gewalt, trotz der Einseitigkeit der Sichtweise durch die westliche Welt, trotz der schützenden Hand der USA über Jahrzehnte hinweg, der Widerstand der Palästinenser wird immer wieder spürbar werden. Das Leid auf beiden Seiten – wobei die Opfer ungleich verteilt sind – wird uns dauerhaft begleiten, solange keine gerechte Lösung gefunden wird.
Voraussetzung wäre eine geschichtliche Aufarbeitung in Israel, ein systematisches Gedenken an die ‚Nakba‘ und eine Distanzierung der Selbstglorifizierung eines sogenannten „Unabhängigkeitskrieges“ der heldenhaften Armee Israels in den Jahren 1947/1948.
Dabei muss das Kernproblem – die Flüchtlingsproblematik – ins Zentrum der Lösung kommen. Das wird zwingendermassen der Dreh- und Angelpunkt für den Erfolg einer stabilen Lösung. Denn – in den Flüchtlingslagern im Libanon, in Jordanien, ja auch in Gaza und Westjordanland nähren sich die Eruptionen der Gegenwart und der Zukunft.
Und die (westliche) Welt bleibt beteiligt und betroffen: Seit Jahrzehnten strickt die offizielle Politik vieler Länder Europas und der USA an der Blaupause des israelischen Verdrängungsmusters mit und pflegt bewusst oder unbewusst ihre „blinden Flecken“, obwohl die Realitäten doch offensichtlich sind. „Wieder und wieder scheitert die Menschheit daran, klare Irrtümer und augenscheinliche Zusammenhänge zu erkennen“, wie es Constantin Seibt so treffend im Online-Medium ‚Republik‘ in Worte fasst.
Viel lieber wird in Deutschland, aber auch in der Schweiz und in Basels Universität aus der „hohen“ Politik und mittels Medien mit der Keule des Antisemitismus gefochten, um weiterhin die Augen vor der Geschichte verschliessen zu können. Solange der ethnisch zionistische Charakter der Politik Israels mit Antisemitismus gleichgesetzt wird, werden der Dialog und die Aufarbeitung unserer Geschichtsverantwortung in diesem Konflikt verunmöglicht.
Die Chancen, wie der Konflikt im ‚Nahen Osten‘ zu lösen ist – in einer Zweistaatenlösung oder in einem föderativen Modell durch den egalitären Einbezug der Palästinenser (auch der Flüchtlinge) in einem „neuen“ Staatsgebilde – kann ich zur Zeit nicht einschätzen.
ABER – es muss eine Lösung gefunden werden, wenn diese Region und die Welt als Ganzes nicht in einer Totalkatastrophe enden soll.
Fast einen Monat später nach meiner letzten Aufzeichnung wird mein Unverständnis über Israels Politik von Tag zu Tag grösser. Meine Wut über die Brutalität Netanjahus Regierung wächst. Das Leid der Menschen im Gaza-Streifen kann mit Worten nicht beschrieben werden. Die Schlagzeilen sind unfassbar schrecklich:
· „Humanitäre Krise im Gazastreifen“ (Ärzte ohne Grenzen)
· „Offensive in Gaza-Stadt: Israel drängt Palästinenser weiter Richtung Süden“ (Euro News)
· „Israeli air strike kills 29 people at Gaza camp for displaced“ (BBC News)
· « Israel Orders Palestinians to Leave Gaza City and Move to South of Strip »
· « Die israelische Armee hat am Donnerstagmorgen eine Schule des Palästinenser-Hilfswerks der Vereinten Nationen (UNRWA) im Flüchtlingslager Nuseirat bombardiert. Dabei sind der Hamas zufolge 40 Menschen ums Leben gekommen, darunter auch Frauen und Kinder.“
· „Fatale Hungersnot im Gazstreifen: Fast eine halbe Million Menschen ist im Gazastreifen laut der UNO von katastrophalem Hunger bedroht. Das schreiben die Vereinten Nationen in einem Post auf der Plattform X“ (Teletext, 12. Juli 2024)
· „Die israelische Regierung setzt das Aushungern von Zivilisten als Mittel der Kriegsführung im Gazastreifen ein, was ein Kriegsverbrechen darstellt.“ (Omar Shakir, Direktor für Israel und Palästina bei Human Rights Watch)
· „Israelische Beamte haben öffentlich erklärt, dass sie der Zivilbevölkerung im Gazastreifen den Zugang zu Nahrungsmitteln, Wasser und Treibstoff verweigern wollen - Aussagen, die sich in den militärischen Operationen der israelischen Streitkräfte widerspiegeln.“ ((Omar Shakir, Direktor für Israel und Palästina bei Human Rights Watch)
·
Und - ISRAEL hat mittlerweile seine Ziele erreicht: GAZA IST VON NORDEN BIS SÜDEN KOMPLETT ZERSTÖRT (Februar
2025)
Auch in Kenntnis der schrecklichen Attacke der Hamas vom 7. Oktober 2023 mit ca. 1‘200 Toten und 200 verschleppten Geiseln muss die Frage beantwortet werden: Lässt sich mittlerweile die Tötung von gegen 70‘000 PalästinenserInnen in Gaza und Libanon (wovon ein Drittel Kinder) als Rache rechtfertigen?
Ich denke: Da verlässt eine politische Führung - getragen von vielen Menschen in Israel - die sogenannte, viel beschworene Wertegemeinschaft der westlichen Welt, wenn es diese je gegeben hat. Worin liegt da noch der Unterschied zur Aggression und Unmenschlichkeit von Putins Russlandfeldzug in die Ukraine?
Ich vermag ihn nicht mehr erkennen.
Was ich aber sehr wohl erkennen kann, ist der Unterschied des Aufschreis in der Welt – in den europäischen Staaten, in der EU, in der Schweiz, in den Medien der Schweiz – wenn Putin seine Menschenverachtung manifestiert oder Netanjahu verlauten lässt: „Sie alle sind es nicht wert zu leben.“
Ich beende zu diesem Zeitpunkt meine persönlichen Erkenntnisse und Ausführungen zum Nahost-Konflikt.
Warum habe ich all dies niedergeschrieben?
Ich wollte mir über eigene Recherchen ein Bild dieses jahrzehntelangen Konflikts machen. Zudem bestätigte sich meine Vermutung, dass die meisten Medien im Gleichklang mit der offiziellen Beurteilung durch die eidgenössische Politik in manipulativer Weise mitmarschiert(e). Ich erleb(t)e zeitweise einen eigentlichen Meinungsterror, der sehr oft Kritik an der Politik Israels mit Antisemitismus gleichsetzt.
Das ist einer Demokratie unwürdig und muss aufhören.
„Dieser Kolonialismus, dem wir unterworfen sind,
ist einzigartig, weil sie keine Verwendung für uns haben.
Der beste Palästinenser für sie ist entweder tot oder verschwunden.
Es geht nicht darum, dass sie uns ausbeuten wollen
Oder dass sie uns, wie in Algerien oder Südafrika,
als Unterklasse behalten müssen.“
Rashid Khalidi’s Blick zurück auf den Libanon-Krieg 1982 provoziert aus aktuellem Anlass des Gaza-Krieges auch einen Blick in die Zukunft:
„Wie schon Jahrzehnte zuvor die Nakba, so führte auch die vernichtende Niederlage in Beirut zu einer neuen Form des palästinensischen Widerstands. Scharon und Begin hatten die Invasion gestartet, um die PLO zu besiegen und die Palästinenser zu demoralisieren, damit Israel sich die besetzten Gebiete einverleiben konnte. Doch das Ergebnis war, dass der Widerstand der Palästinenser einen Aufschwung nahm und sich ins Innere Palästinas verlagerte.“ (in „Der hundertjährige Krieg um Palästina, S. 198/199)
Wenn dieses Muster – aus einer Tragödie neue Kräfte zu mobilisieren – sich wiederholt, dürfen wir gespannt auf die Zukunft in Palästina blicken. Immer dann, wenn Israel zum vermeintlich letzten Schlag der Vertreibung ausholt, tritt eine gegensätzliche Entwicklung ein. Könnte es sein, dass aus der katastrophalen Niederlage der Palästinenser in Gaza und der Hisbollah im Südlibanon das Ziel einer Zweistaatenlösung näher rückt? Dass der Traum eines Gross-Israel durch die totale Vertreibung der Palästinenser platzen wird? Eine solche Entwicklung wäre aber nur vorstellbar, wenn die USA gemeinsam mit den massgebenden europäischen Staaten das Ziel einer Zweistaatenlösung mit höchstem Druck durchsetzen will.
Damit könnte sich selbst der kriminelle Donald Trump ein Denkmal in der Ahnenliste der Weltgemeinschaft sichern.
… da war ich wieder einmal zu naiv. Das Gegenteil einer Befriedung in Palästina ist die Wirklichkeit. Trump und Netanjahu sind als Epigonen im Gleichschritt zum „totalen Krieg“.
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Es ist der 18. März 2025 … und es geht weiter mit dem israelischen Genozid an den PalästinenserInnen. Während in der Schweiz – in der Schweizer Tagesschau heute Abend – „antisemitische“ Angriffe auf Juden in der Schweiz akribisch und genauestens gezählt und beschrieben werden, zerstört die israelische Armee in Gaza in einer Nacht 200 palästinensische Leben. Dies sei nur der (Neu)-Anfang, meint Netanjahu.
Wie dumm und ignorant müssen Journalisten und PolitikerInnen in der Schweiz sein, um die systematische Vertreibung eines Volkes aus dessen Ursprungsland nicht zu erkennen? Spätestens seit 1947 wird der gewaltsame völkerrechtswidrige Weg des Staates Israel stillschweigend in der westlichen Welt und auch in der Schweiz akzeptiert. Kein Aufschrei, kommentarlos – so wird auch in diesem Konflikt der sogenannten Neutralität bei uns gehuldigt.
Israel wird keine Ruhe geben, dem Ziel eines Gross-Israel Schritt um Schritt, mit verbrecherischen Mitteln, unbekümmert um Resolutionen, mit bluttriefenden Händen näher zu kommen. Das Ziel des Zionismus ist der Genozid.
Ich musste dies in kurze, klare Worte fassen, um meiner Verzweiflung ein Ventil zu ermöglichen. Der Genozid in Palästina beginnt bei uns, bei der offiziellen schweizerischen Politik, welche lieber mit einem kriminellen Staat Geschäfte treibt, als sich seiner humanitären Tradition erinnert. Eine Tradition, die schon lange zur hohlen Phrase mutiert. Wer schweigt, trägt Mitschuld.
Toni Kleimann
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